Das erweiterte Präventions- und Schutzkonzept ist implementiert, die Errichtung einer Erinnerungsskulptur und eine öffentliche Podiumsdiskussion sind in Planung
(Korntal, 31.10.2019) Der Prozess zur Aufarbeitung von Missbrauchsfällen in Kinderheimen der Evangelischen Brüdergemeinde in Korntal und Wilhelmsdorf in den 1950er bis 1980er Jahren hat mit der Veröffentlichung des Aufklärungsberichts im Juni 2018 ein wichtiges Ziel erreicht. Ein erweitertes Präventions- und Schutzkonzept wurde 2018 und 2019 in allen Einrichtungen der Diakonie und der Evangelischen Brüdergemeinde Korntal implementiert. Bis zum 30. Juni 2020 will die Diakonie der Evangelischen Brüdergemeinde Korntal eine angemessene Form der Erinnerung an das Geschehene sowie der Mahnung und des Eintretens gegen jegliche Form von Missbrauch für die Zukunft sichtbar werden lassen. Eine öffentliche Podiumsdiskussion soll die Einordnung des Korntaler Aufarbeitungsprozesses in die aktuelle gesellschaftliche Debatte um Schutz und Prävention von Missbrauch anregen und Impulse für die Standardisierung künftiger Aufarbeitungsprozesse geben.
Bis zum 30. Juni 2020 haben von Missbrauch betroffene ehemalige Heimkinder aus Korntal und Wilhelmsdorf die Möglichkeit, sich bei der Aufklärerin Frau Dr. Brigitte Baums-Stammberger zu melden und ein Interview mit ihr zu führen sowie Anträge auf Anerkennungsleistungen zu stellen. Mit dieser Entscheidung hatten die Verantwortlichen der Evangelischen Brüdergemeinde Korntal und ihrer Diakonie bewusst nicht die Veröffentlichung des Aufklärungsberichts Mitte 2018 als Schlusspunkt des Aufarbeitungsprozesses gesetzt, sondern für Betroffene die Gelegenheit geschaffen, bis Mitte 2020 ein Gespräch mit Frau Dr. Baums-Stammberger führen und Anerkennungsleistungen beantragen zu können.
Prävention und Schutz stehen an erster Stelle
„Niemals wieder!“ haben die Verantwortlichen der Evangelischen Brüdergemeinde Korntal und ihrer Diakonie im Rahmen des Aufarbeitungsprozesses geäußert. Deshalb haben sie dafür gesorgt, dass das bestehende Präventions- und Schutzkonzept überarbeitet und in einer erweiterten Fassung auf alle Arbeitsbereiche von Diakonie und Brüdergemeinde angewandt wurde. Neben den hauptamtlich Beschäftigten wurden auch alle Ehrenamtlichen einbezogen. Die Implementierung ist inzwischen abgeschlossen. Regelmäßige Schulungen und Workshops sollen dazu beitragen, dass Prävention und Schutz als dauerhaftes Thema verankert bleibt und gelebt wird. Unterstützt wird dieser permanente Entwicklungs- und Verbesserungsprozess durch externe Auditierungen, die eine kontinuierliche Prozessqualität ergänzen und sicherstellen.
„Wir lernen, damit zu leben“
Für Klaus Andersen, weltlicher Vorsteher der Evangelischen Brüdergemeinde Korntal, ist die Aufarbeitung von Missbrauch in den Kinderheimen der Evangelischen Brüdergemeinde in Korntal und Wilhelmsdorf weder mit der Veröffentlichung des Aufklärungsberichts Mitte 2018 noch mit der Interviewphase Mitte 2020 zu Ende. „Im Brüdergemeinde-Jubiläumsjahr 2019 haben wir uns in vielen Führungen durch die historische Ausstellung im neuen ZEIT.Raum zahlreichen Fragen zur Aufarbeitung von Missbrauch in unseren Kinderheimen gestellt. Auf Infotafeln und in persönlichen Begegnungen mit Besucherinnen und Besuchern konnten wir ausführlich darüber informieren. Auch über das Jubiläumsjahr hinaus bleibt das Thema Missbrauch und Aufarbeitung in unserer Gemeinde und Diakonie präsent – wir lernen, damit zu leben.“
Erinnerungskultur nimmt Formen an – Einbindung von Betroffenen ist Ziel
Betroffene hatten im Verlauf des Aufarbeitungsprozesses den Wunsch geäußert, in einer angemessenen Form der Vorkommnisse in Korntal und Wilhelmsdorf zu gedenken. Die Evangelische Brüdergemeinde und ihre Diakonie hatten es von Anfang als ihr Anliegen formuliert, mit Betroffenen in einem partizipativen Prozess über geeignete Wege der Erinnerung im Gespräch zu sein und sie an der Suche nach Möglichkeiten zur Umsetzung zu beteiligen.
Für die Entwicklung einer Erinnerungskultur hat die Diakonie der Evangelischen Brüdergemeinde die Initiative ergriffen. Veit-Michael Glatzle, Geschäftsführer der Diakonie der Evangelischen Brüdergemeinde Korntal, sagt dazu: „Eine adäquate Gedenkkultur soll an unsere schmerzhafte Geschichte erinnern, zu der wir uns bekennen und für die wir um Vergebung gebeten haben. Gleichzeitig soll sie die Erwartung ausdrücken, dass sich Ähnliches nie wieder unter uns ereignet. Wie dies konkret umgesetzt werden kann, wollen wir im Austausch mit Betroffenen gemeinsam bewegen.“
Anfang 2020 soll die Projektidee einer Erinnerungsskulptur Betroffenen und am Korntaler Aufarbeitungsprozess Beteiligten vorgestellt werden. „Von einer solchen Form der Erinnerung erhoffen wir, dass sie sichtbarer Ausdruck der Mahnung für das Geschehene ist“, sagt Veit-Michael Glatzle. „Gleichzeitig soll sie für jegliche Art von Missbrauch sensibilisieren. Dadurch soll sie ein Bewusstsein schaffen, das zu aktivem Engagement gegen jegliche Art von Missbrauch anspornt und dazu beiträgt, dass sich Ähnliches nie wieder ereignet.“ Die Enthüllung der Erinnerungsskulptur ist für Mitte 2020 vorgesehen.
Erfahrungsaustausch mit aufarbeitenden Institutionen
Im ersten Halbjahr 2020 soll auch das vierte „Korntaler Forum Aufarbeitung“ stattfinden. Es bietet Leitern von Institutionen die Möglichkeit zum Erfahrungsaustausch darüber, wie sie in ihren Organisationen angemessen Verantwortung für die Initiierung und Durchführung eines partizipativen Aufarbeitungsprozesses übernehmen können. Dank der Erfahrung von Fachkräften, die sich der Herausforderung einer institutionellen Aufarbeitung bereits gestellt haben, sowie durch Erkenntnisse aus bisherigen Aufarbeitungsprojekten können im „Korntaler Forum Aufarbeitung“ spezifische Fragestellungen erörtert, Hilfestellung bei der Umsetzung konkreter Schritte in Aufarbeitungsprozessen gegeben und Anregungen für weitere Aufarbeitungsprozesse entwickelt werden.
Klaus Andersen hofft, „dass die Ergebnisse unserer Gespräche im „Korntaler Forum Aufarbeitung“ auch zur institutionellen Aufarbeitung der Evangelischen Kirche in Deutschland und ihrer Diakonie und anderer christlichen Konfessionen und Kirchen sowie zur Weiterentwicklung gesellschaftlich relevanter Wege für die Aufarbeitung von Missbrauch beitragen.“ So hat das „Korntaler Forum Aufarbeitung“ bereits konkrete Vorschläge für eine Standardisierung von Aufarbeitungsprozessen an verantwortliche staatliche und kirchliche Stellen übermittelt.
„Im Dialog bleiben“
Zum Ende der Interviewphase im Korntaler Aufklärungsprozess planen die Verantwortlichen der Evangelischen Brüdergemeinde und ihrer Diakonie für Mitte 2020 eine öffentliche Podiumsdiskussion. Im Fokus soll der Austausch verschiedener Anspruchsgruppen des Aufarbeitungsprozesses stehen. Gleichzeitig sollen die Ergebnisse der Podiumsdiskussion einen konstruktiven Beitrag für den gesellschaftlichen Diskurs zum Umgang mit der Aufklärung und der Aufarbeitung von Missbrauchsfällen leisten. Klaus Andersen sagt dazu: „Uns ist wichtig, auch über unsere eigene Aufklärungsarbeit hinaus mit Betroffenen wie mit anderen Institutionen im Dialog zu bleiben. Nur wenn wir einander zuhören und voneinander lernen, können wir uns bestmöglich für den Schutz von Kindern und Jugendlichen einsetzen.“
Die Evangelische Brüdergemeinde Korntal
wurde 1819 gegründet und ist als selbstständige evangelische Gemeinde vertraglich mit der Evangelischen Landeskirche in Württemberg verbunden. Die 1823 gegründete Diakonie der Evangelischen Brüdergemeinde Korntal unterhält Einrichtungen der Alten- und Jugendhilfe, Kindertagesstätten, einen Schulbauernhof, offene Betreuungsangebote und Sonderpädagogische Bildungs- und Beratungszentren (SBBZ) für Kinder und Jugendliche. Hauptstandorte sind Korntal bei Stuttgart und Wilhelmsdorf im Kreis Ravensburg.
Geistlicher Vorsteher Evangelische Brüdergemeinde Korntal: Pfarrer Jochen Hägele
Weltlicher Vorsteher Evangelische Brüdergemeinde Korntal/Vorsitzender Diakonierat: Klaus Andersen
Geschäftsführer Diakonie der Evangelischen Brüdergemeinde Korntal: Veit-Michael Glatzle